Der Unverstandene
„Man muss wissen, wann man geh´n muss“, sang die österreichische Band EAV (Erste Allgemeine Verunsicherung) zur Melodie des Falco-Hits „Amadeus“ (anzuschauen und zu hören bei YouTube)
als sich Kurt Waldheim, Österreichs Staatspräsident, in seinem Präsidialamt verschanzte und nicht wegen seiner NS-Vergangenheit zurücktreten wollte. Er war Mitglied einer SA-Reiterstaffel und ganz Österreich spottete über sein Dementi, wonach er sich nicht erinnern konnte, ob er mit den Nazis zu tun hatte. „Wahrscheinlich“, so der Volksmund der Alpenrepublik, „war nur sein Pferd in der NSDAP“.
An dieses unwürdige Gezerre musste ich denken, als ich Horst Seehofer in einem Gespräch mit dem ZDF und bei seiner, von PHOENIX live übertragenen, Berliner Pressekonferenz sah. Da möchte man ihm zurufen: „Mein Gott, bewahre Dir am Ende Deiner Karriere Würde und tritt zurück!“ Es tut weh, wie sich ein alter Weggefährte als großer Unverstandener präsentiert und stur an seinem Amt festhält. Seine Aussagen, er habe mit der CSU-Niederlage historischen Ausmaßes wenig bis nichts zu tun, er habe die Partei nie nach rechts gerückt und er sei kein Vorsitzender auf Abruf, erwecken den Eindruck von Realitätsverlust.
Gab es etwa die Interviews nach der Bundestagswahl vor einem Jahr nicht, in denen er assistiert von Alexander Dobrindt die CSU als Mitte-Rechts-Partei definierte, als Heimat für „national-konservative Menschen und Patrioten“? Ist er da ähnlich missverstanden worden, wie bei seinen Einlassungen zu den 69 abgeschobenen Afghanen an seinem 69. Geburtstag, dem eskalierenden Streit um die Flüchtlingspolitik, der die Bundesregierung an den Rand einer Existenzkrise brachte und die Einheit der Union in Frage stellte? Ist er genau so unverstanden geblieben, als das Gezerre um den Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz stattfand und er Maaßen partout nicht entlassen, sondern sogar noch befördern wollte? In Seehofers Vorstellung sind alle Mahner und Kritiker entweder böswillig oder unfähig seine Strategie zu verstehen. King Lear lässt grüßen!
Eigentlich sollte Horst Seehofer wissen, wie es jetzt weitergehen wird. Wie bei einer chemischen Reaktion kommen nun die Rücktrittsforderungen an seine Adresse. Erst vereinzelt, dann Orts- und Kreisverbände und aus den Bezirksverbänden ertönt der Ruf nach einem Sonderparteitag bis aus einem Rücktritt ein Rauschmiss wird. Der Sündenbock wird scheibchenweise auf offener Bühne zerlegt. Das ist dann auch noch die Höchststrafe für fehlenden Mannschaftsgeist.
Der angeschlagene CSU-Chef spreizt sich dennoch ein. Seehofers Strategie ist offensichtlich. Er setzt auf Abnutzungskampf unter Einsatz der langen Bank. Ob das den Abschied vom Amt verhindern kann, ist mehr als fraglich. Er sollte sich noch einmal die Wahlabende und den darauf folgenden Tag von 1998 und 2008 vor Augen führen. Theo Waigel übernahm nach einem CSU-Ergebnis von knapp 49 Prozent bei der Bundestagswahl die politische Verantwortung und übergab den Vorsitz nach zehn Jahren an Edmund Stoiber. Was ihm sicherlich nicht leicht gefallen war. 2008 tat es ihm Erwin Huber bei einem Landtagswahlergebnis von 43 Prozent gleich. Horst Seehofer übernahm. Und nun? Mit jedem Tag des Zögerns und Herumdeutelns am Ergebnis schwindet seine Autorität. Horst Seehofer sollte sich und der CSU diesen unwürdigen Prozess ersparen.