Das Do-It-Yourself-Problem der CDU
Der Beschluss der Jungen Union, künftig für die Auswahl des/der Kanzlerkandidaten bzw. -kandidatin eine Urwahl unter den Mitgliedern abzuhalten, erinnert irgendwie an die alte Spruchweisheit: „Wenn man keine Probleme hat, macht man sich welche!“ Als geneigter Beobachter und Grufti-Ex-JU-ler reibt man sich angesichts dieser Meldung verwundert die Augen und fragt sich, was die JU-Häuptlinge wohl geritten hat, dieses Thema hochzuziehen? Die Frage, wer CDU und CSU im nächsten Bundestagswahlkampf anführen soll, steht derzeit nicht auf der Tagesordnung. Und, sollte sie durch eine Nikolaus-Überraschung des Koalitionspartners SPD im Dezember beantwortet werden müssen, wäre es sicherlich kein Signal von Entschlossenheit und Geschlossenheit, die Frage durch die langwierige Prozedur eines Mitgliederentscheides beantworten zu wollen.
Dazu müsste dann erst einmal entschieden werden, wer darüber bestimmt, wer kandidieren darf. Echte Basis-Demokratie – man will der Jungen Union als Motivation für ihren Beschluss nichts anderes unterstellen – würde ein offenes Bewerbungsverfahren erfordern, sowie bei der SPD. Die hat mit ihrem laaaangen Weg der Kandidatensuche in den vergangenen Monaten für allerlei Witze gesorgt und das Publikum trotzdem vor allem gelangweilt. Der monatelange Selbstbeschäftigungsmodus in dem die Sozialdemokraten seither verharren, hat ihnen bei den Wählerinnen und Wählern wenig Beifall aber dafür sinkende Prozentzahlen in den Meinungsumfragen beschert. Erinnern wir uns: Die letzte Urwahl des Kandidaten für den Parteivorsitz 1993 bescherte der SPD den ebenso erfolg- wie glücklosen Rudolf Scharping. Auch das ist auch nicht gerade ein ermutigendes Beispiel für den Erfolg von Basisdemokratie. Ob die Masse der Mitglieder ein Garant dafür ist, dass der beste und erfolgversprechendste Kandidat am Ende gekürt wird, bleibt fraglich.
Bisher gehörte es zur DNA von CDU und CSU, dass man mit einem gemeinsamen Kanzlerkandidaten in den Kampf um Bundestagsmehrheiten zieht. Darüber haben die Parteitage von CDU und CSU entschieden. Bei dieser Kandidatenkür hatte die CSU ein gleichberechtigtes Mitspracherecht. Soll die CSU künftig etwa Zaungast des Verfahrens sein und das Ergebnis des Mitgliederentscheids der CDU nur abnicken? Neuer Krach zwischen den Unionsschwestern wäre vorproduziert. Die Folge: Die Show würde größer und die Wahlergebnisse kleiner. Das ist keine Behauptung sondern eine Erfahrung aus der Geschichte der Union. Immer wenn es zwischen CDU und CSU knirschte und sich die Schwesterparteien uneins zeigten, stürzten sie in der Wählergunst ab.
In Zeiten eines Sechs-Parteien-Systems ist das besonders problematisch. Um Regierungsmehrheiten erringen zu können, müssen CDU und CSU bei Wahlen eine strategische Position erreichen, gegen die sich keine rot-rot-grüne Mehrheit rechnet. Mit Hader und Streit erreicht die Union dieses Ziel nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass der aktuelle Beschluss von den Medien nicht ohne ernsten Hintergrund als ein nur wenig kaschiertes Misstrauensvotum gegen die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer wahrgenommen wird. Die Parteivorsitzende zu schwächen und damit den politischen Gegnern Vorlagen zu liefern, ist auch nicht der politischen Weisheit letzter Schluss. Der Ablauf solcher Veranstaltungen ist spätestens seit dem Scheitern der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles bekannt. Parteivorsitzende scheitern in der Regel nicht am politischen Gegner. Sie stürzen für gewöhnlich über die eigenen Genossen oder Parteifreunde. Die SPD stürzte nach dem Nahles-Desaster in der Wählergunst weiter unter die 20-Prozent-Marke ab. Das Lamento der JU-Granden, weil die „bösen Medien“ sich auf dieses Thema stürzen und die anderen 500 Anträge ihres Deutschlandtages nur unter „ferner liefen“ behandeln, klingt so wie das Heulen weinender Krokodile.
Wir erleben nicht zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine Phase großer Umbrüche. Die Frage, wie die Zukunft der Industriegesellschaft gestaltet werden kann, bedrängt die Menschen. Ob und wie man die großen Herausforderungen Klimaschutz und die „Industrielle Revolution 4.0“ unter einen Hut bringen kann, harrt einer politischen Antwort. In den 60er Jahren mischte die Junge Union stark im Diskurs über die großen gesellschaftlichen Zukunftsfragen mit. Seither ist es stiller geworden, wie nicht nur die alten Granden von CDU und CSU empfinden. Es wäre interessant gewesen zu erfahren, was die Jugend der Union, zu „Fridays for future“ und „Extinction Rebellion“ und ihren Forderungen nach Schaffung einer Diktatur der Ökologie zu sagen hätte. Die ewigen Dislikes, Daumen-runter und Buhs für Greta und Daumen-Hoch-Likes für erzkonservative Gruppierungen in den sozialen Medien, reichen sicherlich nicht aus, um sich mit Vorstellungen auseinander zu setzen, wie sie einst Platon mit seiner Vorstellung des idealen Staates entwickelte, der im Streben nach dem Guten nicht vom Volk, sondern von einigen wenigen „Guten“ geleitet wird.