Die Erfolge der AfD oder das Donald-Duck-Prinzip
Haben Sie sich schon einmal Gedanken über die Frage gemacht, warum es viele Menschen gibt, die Donald Duck mögen – einen ewig zu kurz gekommenen Verlierer? Es gibt eine Gruppe leicht spleeniger Menschen, die sich D.O.N.A.L.D., der Deutschen Organisation nicht kommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus, verbunden fühlen. Sie haben Spaß an den sprachschöpferischen Texten von Erika Fuchs (freu, freu!) in den frühen Donald-Duck-Comics, lieben es über Themen wie, „Wo liegt eigentlich Entenhausen?“ oder „Nepotismus als Lebenslüge“ „wissenschaftlich zu forschen“ oder Dagobert Ducks Fantastilliarden-Vermögen in Euro umzurechnen. Die Ergebnisse dieser „Forschung“ werden dann untereinander kommuniziert.
Zur Standardliteratur dieser verschrobenen Gemeinschaft zählt das Buch „Die Ducks – Psychogramm einer Sippe“ von Grobian Gans (Rowohlt Taschenbuchverlag/ rororo 1972). Bei der Suche nach einem Buch in meiner Bibliothek fiel es mir jetzt wieder einmal in die Hände. Beim Blättern entdeckte ich das Kapitel „Donald Duck – der faschistoide Kleinbürger – Ich-Ideal und Fremdbestimmung“. Darin las ich Sätze, die sehr gut auf das Phänomen zu passen scheinen, das alle demokratischen Parteien derzeit mit einer Mischung aus Unverständnis und Unbehagen in den Bundesländern beobachten, die bis vor 30 Jahren die DDR bildeten – der wachsenden Zustimmung der Wähler zur Rechtsaußen-Partei AfD. Zitat: „Auf der Suche nach der früh verlorenen Identität entwickelte er (Donald Duck) ein Ich-Ideal, das bloßer Reflex vorgegebener Leitbilder und herrschender Werte bleibt. Mit unbeirrbarer Hartnäckigkeit ….. jagt Donald der öffentlichen Anerkennung nach, getrieben vom Verlangen etwas Spektakuläres zu tun.“
Das Gefühl, immer zu kurz gekommen zu sein und seine Lebensleistung nicht anerkannt zu bekommen, verbindet die AfD-Anhänger und -Wähler in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg. Hinzu kommt, dass sie die Fakten der friedlichen Revolution von vor dreißig Jahren und die hohen Billionen-Beträge (30.000 Milliarden €!) ignorieren, die in die Förderung der Wirtschaft und der Infrastruktur ihrer Bundesländer geflossen sind. Sie laufen wie einst die Kinder von Hameln Flötenspielern nach. Es gelte nun die Wende von 1989/1990 zu Ende zu führen, ist die Melodie der modernen Rattenfänger. Die Ironie dabei ist: Die lautesten AfD-Anführer mussten nie den Mut der Helden an den Tag legen, die damals 1989 bei den Montagsdemonstrationen auf die Straßen der DDR gingen und Aug in Auge mit der Staatsmacht „Wir sind das Volk!“, „Deutschland einig Vaterland“ und dann „Wir sind ein Volk!“ skandierten.
Vor diesen Menschen ziehe ich auch heute noch meinen Hut und verbeuge mich mit Hochachtung. Umso frecher ist der Versuch der Herren Höcke und Co., die aus dem Westen stammen und die Wendezeit bestenfalls vor dem Fernseher in der warmen bundesrepublikanischen Stube erlebten, diese friedliche Revolution für die AfD zu reklamieren und sich als politische Erben dieser Bewegung auszugeben.
Dass sie dabei eine positive Resonanz finden, mag nicht nur am mangelnden Langzeitgedächtnis der AfD-Anhänger und -Wähler liegen. Helmut Schelsky, einer der führenden deutschen Soziologen, hat in seinem Buch „Die skeptische Generation“ auf der Basis empirischer Forschungen schon in den frühen 50er Jahren festgestellt, dass Menschen, die Krieg und Diktatur erleben mussten, staatlichen Institutionen grundsätzlich misstrauen. Die mangelnde Identifizierung mit Demokratie und Pluralismus sei das Ergebnis von Lebenserfahrungen, die diese Menschen „kritischer, misstrauischer, glaubens- und illusionsloser“ habe werden lassen. Das kann man gut nachvollziehen, wenn man bedenkt, dass den Menschen in der DDR zur Nazi-Diktatur noch 40 Jahre DDR-Diktatur mit Stasi, Mauer und Schießbefehl aufgebürdet wurden. Das hat in den Köpfen Mauern aufgebaut. Eine Erkenntnis, die Renate Köcher, Chefin des Meinungsforschungsinstituts Allensbach, im Zusammenhang mit der Forschung über die Gefahren des Internets für Unternehmen gewonnen hat, wirft ein Schlaglicht auf den Verstärker dieser Grundbefindlichkeit. Demnach sind 40 Prozent der Deutschen davon überzeugt, dass Fakten Ansichtssache sind.
Dazu passt – ausgestrahlt im TV – eine Szene aus jüngster Zeit: Ein Mann versucht gegen die Ressentiments einer überschaubaren Zahl von Protestlern mit Fakten anzugehen. Die Demonstranten buhen, fassen sich an die Köpfe und bedeuten dem Mann, dass sie ihm nicht glauben. Der Mann ist Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Die Szene ist auf seiner Wahlkampftour durch den Freistaat aufgenommen worden.
Ausgangspunkt des gescheiterten Dialogs war die spektakuläre Mordtat eines Mannes aus Afghanistan auf dem Frankfurter Hauptbahnhof. Er hatte eine Mutter und ihren Sohn, die am Bahnsteig warteten, vor einen einfahrenden ICE gestoßen. Die Frau konnte sich retten aber ihr Sohn wurde vom Zug erfasst und starb. Berichte über das Verbrechen füllten tagelang die Schlagzeilen – vor allem der mit den ganz großen Buchstaben. Kurz nach der Wahnsinnstat posteten AfD-Politiker ihre übliche Suada gegen Ausländer und gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel, der sie einmal mehr die Schuld für die Gewalttat gaben. Eine Bundestagsabgeordnete der AfD verfluchte sogar den Tag von Angela Merkels Geburt. Bei den Demonstranten, auf die der sächsische Ministerpräsident traf, war das unübersehbar auf fruchtbaren Boden gefallen.
So half es dem couragierten Michael Kretschmer nichts, die Protestler mit der Wahrheit zu konfrontieren. Nämlich, dass der Täter nichts mit der Asyl- und Migrationspolitik Deutschlands zu tun hat. Er war schon 2006 – neun Jahre vor der großen Flüchtlingswelle 2015 – in die Schweiz geflüchtet. Er galt dort als gut integriert und hatte eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die es ihm ermöglichte, legal nach Deutschland einzureisen. Seine unfassbare Wahnsinnstat hätte also nicht verhindert werden können, selbst wenn die Bundesregierung im Jahr 2015 die Grenzen für Flüchtlinge hermetisch abgeriegelt hätte. Das sind die Fakten, die Kretschmer den Protestlern entgegnete. Doch die hatten ihre Hass-Kappen aufgesetzt, die den Blick auf die Realität verhindern.
Mir fiel beim Betrachten dieser Szene das bekannte Churchill-Zitat ein: „Eine Lüge fliegt um die halbe Welt, bevor die Wahrheit sich auch nur die Hosen anziehen kann.“Nur fliegt die Lüge im Internetzeitalter sehr viel schneller um die Welt als damals.