Letzter Dienst für das Amt
Gilt die Unschuldsvermutung nicht für Bundespräsidenten? Die Frage ist nach dem Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff berechtigt. Juristisch stellt sich diese Frage nicht! Natürlich gilt wie für jeden Bürger auch für Wulff die Unschuldsvermutung – ungeachtet des Ermittlungsverfahrens, das jetzt von der Staatsanwaltschaft in Hannover eingeleitet wird. Eine Vorverurteilung verbietet sich schon deshalb, weil bekanntermaßen 70 bis 80 Prozent aller staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren eingestellt werden. Es gehört in diesem Fall zur Tragik, dass es für den Bundespräsidenten und seine Entscheidung neben der juristischen auch eine politische Kategorie gibt. Der hat Christian Wulff jetzt Rechnung getragen und das Amt und seine Bedeutung über die eigenen Interessen gestellt. Sein Rücktritt verdient deshalb Respekt. Auch seine Haltung ist bemerkenswert, als er in seiner Rücktrittserklärung die Situation nüchtern analysierte und davon sprach, dass ein Bundespräsident nicht nur eine Mehrheit, sondern eine breite Mehrheit braucht, um sein Amt ausfüllen zu können.
Und natürlich war es auch richtig, dass der scheidende Präsident ansprach, wie sehr er und seine Frau von der Berichterstattung der vergangenen Wochen verletzt wurden. Das wochenlange Schlagzeilengewitter, in dem versucht wurde, selbst das mittlerweile berühmt gewordene Bobby-Car-Geschenk für den Sohn des Präsidenten zu skandalisieren, hat tiefe Wunden geschlagen. Es wäre falsch, wenn die Medien das einfach ignorierten und zum Kollateralschaden erklärten. Es gibt Gründe dafür, dass auch ihr Ansehen in den Wochen der Causa Wulff gelitten hat. Die meisten Bürger befiel in diesen Wochen das unbehagliche Gefühl, dass sich hier eine Art Medienkampagne aufbaute, die nur das Ziel hatte, den Bundespräsidenten aus dem Amt zu drängen. Das Unbehagen speiste auch das Gefühl, dass einige Medien sich immer weniger als Mahner und Beobachter verstehen, sondern sich zunehmend als politische Akteure sehen. Leider lassen Erklärungen wie die aktuelle des Deutschen Journalistenverbandes DJV nichts Gutes ahnen, die das Tun der Medien ohne eine Hauch von Selbstkritik unter der Kategorie „Pflicht“ verbucht. Es wäre im Sinne unserer demokratischen Kultur wünschenswert, wenn mit einigem Abstand zum heutigen Rücktritt Christian Wulffs eine gesellschaftliche Diskussion über die Grenzen der Medienmacht in Gang käme.