Nicht nur eine Stilfrage
Auch wenn es vielen Zeitgenossen so scheint, als passten Knigge und Politik nicht zusammen, gibt es in der deutschen Politik doch ungeschriebene Benimmregeln. So gilt es für gemeinhin als schlechter Stil, wenn ein Nachfolger seinen Vorgänger kritisiert. Deshalb kann man die Zahl solcher Fälle, selbst nach einem Regierungswechsel an einer Hand abzählen. Auch Leute, die in Stilfragen sonst eher unsensibel sind, halten sich daran. Schließlich wissen sie, dass auch ihre „politische Laufzeit“ schnell auf Null fallen kann und dann ein Nachfolger übernimmt, von dem sie ein gewisses Maß an Noblesse erhoffen.
Umso erstaunlicher ist das aktuelle Gebaren des aktuellen Verteidigungsministers gegenüber seinem Vorgänger in Sachen Bundeswehrreform. Selbst wenn bei den Überlegungen und Planungen dieser grundlegenden und einschneidenden Reform nicht alles gelungen ist und etliche Problemfelder nicht ausreichend beackert sind, ändert das nichts an der Notwendigkeit, die Fähigkeiten unserer Streitkräfte an die aktuelle Situation anzupassen.
Dazu gab es bereits zu Zeiten Helmut Kohls interne Ausarbeitungen, als sich die Sicherheitslage nach der Deutschen Einheit und dem Ende des Kalten Krieges komplett verändert hatte. Die Grundprobleme der Bundeswehr gab es nämlich schon damals: Die chronische Unterfinanzierung, die dazu führt, dass wichtige Rüstungsprojekte immer auf die lange Bank geschoben werden. Die eingeschränkte Einsatzfähigkeit der Truppe speziell für UN-Mandate. Die drohenden Rechtsprobleme beim Thema Wehrgerechtigkeit – und der Trend, dass Stäbe immer wieder neue Stäbe und Häuptlinge generieren und die Indianer dabei zu kurz kommen.
Diese Probleme wurden über die Jahrzehnte mit spitzen Fingern von einem Verteidigungsminister zum nächsten bis zu Karl-Theodor zu Guttenberg weitergereicht, weil man sie sich leicht daran verbrennen kann. Man kann daher nachvollziehen, dass der aktuelle Amtsinhaber jetzt eher mit gebremster Euphorie ans Reformwerk geht. Den Versuch, sein Wirken dadurch größer erscheinen zu lassen, in dem er seinen Vorgänger kleiner macht, sollten er und sein „Umfeld“ dabei nicht nur aus Gründen des guten Stils bleiben lassen.