Polit-Astrologen und Volkspartei
Was hat der Führungswechsel bei der CDU mit der These vom Ende der Volksparteien zu tun? Antwort: Das Kopf-an-Kopf-Rennen und das Ergebnis von knapp über 51 Prozent für die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer zeigte wie breit das politische Spektrum in der CDU und auch in der CSU noch immer ist. Die Bandbreite der Partei spricht gegen die These vom Tod der Volkspartei. Der knappe Wahlsieg und die Appelle, die CDU nach der Vorstandswahl wieder zur Geschlossenheit zusammen zu führen, inspirierte Kommentatoren und Polit-Astrologen dazu, von einer Spaltung der CDU zu sprechen. In ihren Augen war die Wahl mehr oder weniger eine Richtungsentscheidung. Die „liberale, dem Kurs Angela Merkels“ folgende Kramp-Karrenbauer auf der einen Seite oder der konservative, wirtschaftlich neoliberale Friedrich Merz auf der anderen.
An der Richtigkeit dieser mehrheitlichen Einschätzung der Medien darf getrost gezweifelt werden. Denn die Etikettierung der beiden Hauptkonkurrenten mit dem Label „konservativ“ und „liberal“ war schon vor der Wahl nicht richtig. Die Kandidatur von Friedrich Merz hatte zwar auf Nostalgie gestimmte Saiten bei vielen CDU-Anhängern zum Klingen gebracht. Doch gäbe es auch unter einem CDU-Vorsitzenden Merz kein „Zurück in die Zukunft“. Die CDU hat sich in der Ära Merkel mit ihrer Programmatik und Politik dem gesellschaftlichen Wandel angepasst. Merz hätte dem Rechnung getragen. Und auch die Siegerin des Hamburger Parteitages verkörpert keineswegs einen rein pragmatischen, rationalen und liberalen Politikstil, der ausschließlich auf die liberale Mitte der Gesellschaft abzielt. Annegret Kramp-Karrenbauer steht mit ihren gesellschaftspolitischen Ansichten für christliche Werte, die eigentlich bei den Nostalgikern der CDU für Jubel sorgten müssten.
Die Entscheidung ist gefallen und A(nnegret)-K(ramp)-K(arrenbauer) ist ein Zukunftsversprechen für die Volkspartei CDU. Sie verkörpert Modernität und christliche, konservative Werte. Sie hat einen ausgeprägten Sensus für die Probleme und Sorgen der Menschen und ist aufgeschlossen genug, um kompromissfähig zu sein. Das ist das richtige Rüstzeug für die Führung einer Volkspartei.
In diesem Zusammenhang ist es gut sich mit der Frage zu beschäftigen, was eine Volkspartei eigentlich ausmacht. In den 70er Jahren war es in den Politikwissenschaften sehr angesagt, Seminare über das Erfolgsrezept der großen Volksparteien und die von ihnen repräsentierte politische Bandbreite abzuhalten. Artikel, Aufsätze und Bücher wurden mit der Antwort auf die Frage gefüllt, warum der Konsens und der Kompromiss politisch so erfolgreich sein kann.
Das Zusammenfügen von christlichen, bürgerlich konservativen, aber auch von liberalen und sozialen Profilbestandteilen machte die Volksparteien CDU und CSU groß. Die große alte Dame SPD hatte sich mit dem Godesberger-Programm als Gegenspielerin auf der linken Seite etabliert. Die beiden Volksparteien befolgten die Lehre aus der Vergangenheit, wonach die Zersplitterung des politischen Spektrums durch das Auftreten von Richtungsparteien, wie in der Weimarer Republik, gute Regierungsarbeit erschweren und mangels Kompromissfähigkeit sogar unmöglich machen kann. Der Kompromiss wurde zum Kern bundesdeutscher Politik und er wurde ein Teil des bundesdeutschen Erfolgsrezepts.
Wichtige Entscheidungen – etwa in der Sozialpolitik – wurden stets mit überwältigenden Mehrheiten im Bundestag gefällt. Das garantierte ein Höchstmaß an politischer und auch wirtschaftlicher Stabilität. Dieses Konsensmodell war das Erfolgsgeheimnis des nach der Menschheitskatastrophe des Zweiten Weltkriegs wieder aufstrebenden und in die Völkergemeinschaft zurückkehrenden Deutschlands. Helmut Kohl war dabei ein Meister des politischen Kompromisses. Er fällte keine Entscheidung in Fragen der Rentenpolitik oder zuletzt bei der Euroeinführung ohne einen Konsens aller Beteiligten herbeizuführen. Bei der Euroeinführung, beschränkte er sich nicht nur darauf die Parteien im Bundestag und die Länderegierungen einzubeziehen. Vertretern von Arbeitgeberverbänden, den Banken, Gewerkschaften, Versicherungen und Verbraucherverbänden saßen mit der Bundesregierung an einem Tisch, um die Frage zu diskutieren, wie der Abschied von der D-Mark und die Einführung des Euro gelingen kann. Das war mühsam, aber gut für das Wohl unseres Landes.
Mit den tektonischen Verschiebungen in unserer Parteienlandschaft im linken Politikspektrum – in den 70er Jahren der Auftritt der Grünen auf der politischen Bühne und nach der Wiedervereinigung Deutschlands der SED/PDS/Linken – reifte die These vom Ende der Volksparteien. Der Niedergang der Volkspartei SPD begann. Von Selbstzweifeln geplagt, mit dem Hadern über Erreichtes und ihrer intensiven Zuwendung zu Randgruppen verlor die große alte Dame den Rückhalt in ihrem traditionellen Wählerreservoir, den Arbeitnehmern, die sich selbst längst zur bürgerlichen Mitte zählten. Das Ergebnis ist bekannt.
Mit dem Auftritt der Rechtspopulisten droht der Union ein ähnliches Schicksal. Der Versuch, deren Wähler mit explizit rechten Aussagen zur Flüchtlings- und Migrationspolitik zurück zu locken, missglückte gründlich. Damit wurde die AfD nur weiter gemästet. Bei den Wählern der Rechtspopulisten entstand der Eindruck, dass ihre Stimme für Rechts doch etwas bewegt – und zwar beim einzigen Thema, das von der AfD bespielt wird. CDU und CSU hatten sich in dieser Frage als feindliche Schwestern dargestellt. Traditionelle Wähler wendeten sich ob der groben Streitkultur angewidert ab. Die Wahlergebnisse und Wählerwanderungsanalysen belegen das eindrucksvoll.
Die spannende Frage ist jetzt, ob es im Zuge des Wechsels an der Spitze von CDU und CSU gelingt, den Wählerinnen und Wählern neben neuem Personal wieder mehr Orientierung zu geben und dem Gedanken der Volkspartei wieder zu beleben. Dabei sollte sich die Union nicht allzu lange mit der AfD und ihren Wählern aufhalten. Der harte Kern lehnt unser System der parlamentarischen Demokratie schlichtweg ab. Sie lehnen Kompromisse ab und streben auch keinen Konsens an, wie das Bundesverfassungsgericht gerade eben in seiner Begründung zur Ablehnung einer AfD-Klage gegen die Flüchtlingspolitik darlegte. Die anderen, die aus Angst vor der Zukunft in die Arme der Rechtspopulisten getrieben wurden, wären wieder gewinnbar, vorausgesetzt die Politik vermittelt in einer Zeit, in der niemand weiß, was kommen wird, eine Idee davon, was kommen soll.