„Time is on my side“ – Wie die Linke ihre belastete Historie aussitzt

„Time is on my side“ – Wie die Linke ihre belastete Historie aussitzt

Immer wenn Bundeskanzler Helmut Kohl vorgeworfen wurde, er würde die politisch drängenden Probleme aussitzen, (- und das tat die Opposition gerne und oft-) standen Vertreter der Linken in der ersten Reihe des Kritikerchores. Dabei hat die SED-Nachfolgpartei es in dieser Disziplin zu einer unangefochtenen Meisterschaft gebracht. 

„Time is on my side“ sangen die Rolling Stones auf einer Ihrer ersten Hit-Singles in den 60er Jahren. Die Genossen um Bisky und Gysi haben diesen Songtitel zu ihrem politischen Hit gemacht.  Wenn jetzt in Thüringen ein Ministerpräsident gewählt wird, werden die Vertreter der Linken einmal mehr auf den in ihren Augen falschen Grundsatzbeschluss der CDU hinweisen, der besagt, dass sich die CDU als Partei der Mitte gleichermaßen gegen Linke und AfD abgrenzt. Dabei wird der Konsens beschworen, wonach alle Parteien des demokratischen Spektrums zur Zusammenarbeit bereit sein müssen, wenn es um das Wohl des Landes geht. Dass sich die Linke dabei selbst als Mitglied dieser Gemeinschaft der Demokraten sieht, ist klar. Die gerade beendete Strategiekonferenz der Partei „Die Linke“ hat dies nachdrücklich unterstrichen.

Ihre Bundesvorsitzende Katja Kipping will das Thema „Regierungsbeteiligung der Linken“ mit aller Macht vorantreiben. Sie hat vor dem Hintergrund rot-rot-grüner Koalitionen in Berlin, ein Bändchen mit dem Titel „Neue linke Mehrheiten. Eine Einladung“ publiziert. Kipping ist die Vertreterin einer neuen Führungsgeneration der Linken. Sie hat 1998 ihr Abitur in Dresden gemacht und war schlicht zu jung, um sich politisch mit einer Mitgliedschaft der alten SED zu kompromittieren.

Sie ist die treibende Kraft, die den Druck auf die CDU-Abgeordneten in Thüringen hoch hält, sich bei der Wahl des Ministerpräsidenten pragmatisch zu verhalten und Bodo Ramelow ins Amt zu helfen. Für CDU-Politiker in den Bundesländern, die früher einmal die DDR bildeten, ist das ein höchst problematisches Unterfangen nicht nur wegen des Unvereinbarkeitsbeschlusses der Bundes-CDU. Für viele von ihnen ist die Linke die Fortsetzung der alten SED in einer Demokratie. Sie war unstreitig eine diktatorische Staatspartei, die noch immer für Mauer, Stacheldraht, Selbstschussanlagen, Schießbefehl steht und die Lebensplanung der Menschen in der DDR beeinträchtig und für viele auch zerstört hat.

Sicherlich hat die Linke in den drei Jahrzehnten seit der friedlichen Revolution in der DDR einige politische Häutungen gemacht und ist zu einer ernstzunehmenden linken Partei in der Bundesrepublik geworden. Dabei ist sie auch einiges vom politischen Ballast und SED-Müll losgeworden. Aber die aktuelle Diskussion um die Einhaltung der Äquidistanz lohnt den Blick darauf, wieviel SED heute, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, noch in der SED-Erbin die Linke steckt. Unabhängig von der Antwort darauf müsste man als PR-Mensch vor der erfolgreichen PR-Aktion der Alt-SED-ler um Gysi und Bisky eigentlich den Hut ziehen, mit der sie die dunklen Schatten ihrer undemokratischen und diktatorischen DDR-Vergangenheit dank geschickter Umbenennungen von SED, in PDS, dann in Linkspartei PDS und schließlich in Die Linke übertünchten und gleichzeitig das SED-Vermögen behielten. Immerhin hatte die SED bis zur Wende 1989 die stattliche Summe von 6 Milliarden Ost-Mark gebunkert. Da nach dem Mauerfall nur ein Teil des Parteivermögens in den Büchern auftauchte, will die Frage nicht verstummen, wo der „verschwundene Schatz“ der SED geblieben ist. Die Linke muss sich dabei den Vorwurf gefallen lassen, dass sie nie versucht hat, dies ernsthaft zu erforschen. 

Auch wenn es heute nicht mehr so gerne gehört wird: Die Partei „Die Linke“ ist die Rechtsnachfolgerin der alten SED. So erklärte der damalige Bundeschatzmeister Karl Holluba (im Amt bis 2010) der Linkspartei zuletzt 2009 in einem Dokument „zur Vorlage bei Gericht“: „ ‚Die Linke‘ ist rechtsidentisch mit der ‚Linkspartei, PDS‘, die es seit 2005 gab, und der SED, die es vorher gab.“ Niemand sei „je auf die Idee gekommen“, Die Linke sei „nicht identisch mit der PDS“.

Auch heute noch gibt es in dieser Partei etliche Genossen, die aus Zeiten der alten SED stammen. In den 80er-Jahren hatte die SED mehr als zwei Millionen Mitglieder. Das waren fast 10 Prozent der gesamten DDR-Bevölkerung. Ende 2018 summierte sich die Mitgliederzahl nur noch auf rd. 62.000 Genossen. Das Beitrittsdatum von rund 8.000 Mitgliedern lag vor 1989, also noch zu SED-Zeiten. Bei über 11.000 Mitgliedern ist unklar, wann sie den Weg zu dieser Partei fanden. Gesamt haben also mindestens 13 Prozent aller Mitglieder der Linken eine SED-Vergangenheit. Wahrscheinlich liegt der Prozentsatz aber höher. 

Die Funktion als Auffangbecken für alte SED-Kader endete spätestens 2007,  als nach dem Zusammenschluss mit der „WASG“ von Oskar Lafontaine viele Ex-SPD-Genossen und  Anhänger der K-Gruppen zur Linken stießen , die in den 70er-Jahren ihre Kämpfe gegen „Kapitalismus und Zionismus“ in der alten Bundesrepublik austrugen. Die Jahrzehnte der Einheit taten ein Übriges.  Sie rückten die SED-Erbin von ihrem Ursprung als diktatorische Staatspartei ein gutes Stück in Richtung demokratische Normalität. 

Mitunter zeigen sich tiefe Risse in der demokratischen Fassade; – wenn die Genossen dogmatisch den „Systemwechsel“ in Deutschland beschwören. Auch in der Außen- und Sicherheitspolitik weisen sich die Genossen mit der strikten Ablehnung der NATO oder dem beredten Schweigen über die Menschenrechtsverstöße in Russland, Kuba, Venezuela oder China nicht gerade als lupenreine Demokraten aus. Das Paktieren mit den Anhängern des mit dem Begriff „Antizionismus“ kaum verdeckten politischen Antisemitismus lässt weitere Zweifel zu.

Auch bei der Aufarbeitung der eigenen Parteigeschichte malt die Linke gerne mit leichten Aquarelltönen. Auf ihrer Website betonen die Genossen, dass die Gründung der DDR ein „legitimer Versuch“ war, einen sozialistischen Staat aufzubauen. Aber der sei am „Unrecht in Politik und System gescheitert“ und ja (!) an einem „eklatanten Mangel an Demokratie“. Trotzdem wehren sich die Partei und auch Bodo Ramelow, der Thüringer Ministerpräsident in Wartestellung, vehement dagegen, die DDR einen Unrechtsstaat zu nennen. 

Zur Erinnerung: Die Staatsführung der DDR ließ „Republikflüchtlinge“ an der Grenze – dem antifaschistischen Schutzwall –  erschießen, steckte Regimekritiker in die Gefängnisse, nahm vielen von ihnen die Kinder weg, schränkte die Reisefreiheit seiner Bürger ein und bestimmte, wer welche berufliche Laufbahn einschlagen durfte. Der Hinweis, dass dies alles nach geltendem DDR-Recht und -Gesetz geschah, klingt dabei wie Hohn. Mit einem Hinweis auf das Ermächtigungsgesetz von 1933 könnte man auch versuchen, die Verbrechen an der Menschheit, die auf Befehl der Nazis begangen wurden, als legal darzustellen. Auf diese Idee käme angesichts der monströsen Menschheitsverbrechen Gottseidank wohl kaum jemand. Aber nicht nur die Dimension entscheidet über die Frage, was Unrecht und was ein Staat ist, der Unrecht ausübt. 

Ein Gedanke zu „„Time is on my side“ – Wie die Linke ihre belastete Historie aussitzt

  1. Lieber Peter Hausmann,
    wissen Sie nicht oder haben Sie vergessen, dass in der DDR die Ost-CDU ein genauso übles Spiel spielte wie die SED. Lesen Sie nur die Jubel-Artikel jeweils zum 13. August im Partei-Organ der DDR-CDU. Es hieß wohl „Der neue Weg“. Ich war zu DDR-Zeiten jedes Jahr „drüben“, habe dort mutige Leute getroffen. Keiner gab auch nur einen Pfifferling auf die Blockparteien. Im Gegenteil: Die seien genauso schlimm, nur etwas verlogener. Von daher dürfte die CDU heute auch nicht mit der Thüringer CDU zusammenarbeiten.
    Hören wir also auf mit der rückwärts gewandten Aufrechnerei. Und verrückte Ausreißer gibt es auf beiden Seiten: Bei den Linken die ewig Gestrigen und andere fehlgeleitete Irre und in der CDU Mandatsträger, die lieber heute als morgen mit der AfD kooperieren oder gar koalieren würden.
    Mit Ihrer Argumentation, lieber Herr Hausmann, wird das Desaster von Thüringen demnächst auch in anderen Bundesländern wiederholt. Dann geht unsere Demokratie um der christdemokratischen Ideologie willen langsam vor die Hunde.

    Herzlichst

    Christoph Lütgert

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