“WAAGSCHEISSERL” – DIE FDP IN DER KLEMME
„Wir sind nicht die größte, aber die wichtigste Partei!“, rief der FDP-Vorsitzende Christian Lindner jüngst den Delegierten des Berliner Parteitags in aller Unbescheidenheit zu. Der Satz soll das Selbstbewusstsein und das Selbstbild der Liberalen in der Ampel-Koalition beschreiben. Weniger vornehm hatte es der unvergessene CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß ausgedrückt. Die FDP, die in den 70er Jahren der SPD die Mehrheit sicherte, obwohl der Stern der sozialliberalen Koalition längst sank, sei eine „Waagscheißerl-Partei“. Für Menschen außerhalb des süddeutschen Sprachraums klingt das besonders derb und abwertend. Dabei beschreibt das Wort „Waagscheißerl“ genau genommen nur die Funktion des kleinen Gewichts, das den Ausschlag gibt, auf welche Seite sich die Waagschale neigt. Was ziemlich treffend die Rolle der FDP in der Geschichte der Bundesrepublik und auch aktuell in der Ampel-Koalition beschreibt.
Die Liberalen hatten sich von 1969 bis 1982 fest an die SPD und die Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt gebunden. Damals war die Parteienlandschaft simpler strukturiert. Es gab nur drei politische Kräfte im Bundestag: CDU/CSU, SPD und FDP. Die Koalition im Bund war die Blaupause für viele SPD/FDP-Bündnisse in den Bundesländern. Wie immer in der Geschichte der Bundesrepublik verschliss sich die Attraktivität mit den Jahren mehr und mehr. Die Mühsal der politischen Alltagsarbeit machte es immer schwerer, die einfache Antwort auf die Frage zu beantworten, warum die sozialliberale Koalition noch einmal gewählt werden sollte. Die Stimmergebnisse fielen immer tiefer in den Keller und in der FDP rumorte es gewaltig. CDU und CSU feierten Wahlsiege. Sie waren deutlich die stärkste politische Kraft im Land und standen Ende der 70er Jahre sogar knapp vor der absoluten Mehrheit bei Bundestagswahlen. Aber die kleine FDP hievte die Sozialdemokraten immer wieder auf die Kabinettssessel. Da dieses Bündnis zementiert schien, wütete Franz Josef Strauß gegen die FDP. Sein bekanntestes Zitat aus dieser Zeit war: „Bei der FDP kann man sich auf eines verlassen, nämlich eine berechenbare Komponente. Ihre Charakterlosigkeit.“
Derzeit erinnert einiges in der Ampelkoalition an die Zeit von damals, obwohl die Zeit der Zweierbündnisse gemessen an aktuellen Wahlergebnissen Vergangenheit ist. Unsere alte bundesrepublikanische Parteienlandschaft mit CDU/CSU, der SPD und der FDP als bestimmenden Faktoren aus der Ära Konrad Adenauer hat sich komplett gewandelt. „Jüngere Parteien“ wie die Grünen, die Linke und die AfD geben mit ihren Stimmergebnissen den Ausschlag, wie sich künftig neue Mehrheiten in den Parlamenten gestalten. Trotzdem bleibt der FDP die Rolle als Mehrheitsbeschafferin. Wie Analysen zur Wählerwanderung zeigen, ist sie die deutsche Partei mit der kleinsten Stammwählerschaft aber gemessen an ihrer Verweildauer auf der Regierungsbank die erfolgreichste Partei. Bis auf die Jahre der rot-grünen Regierung Schröder und den Zeiten der großen Koalition unter Angela Merkel saßen immer FDP-Minister in den Kabinetten.
Die Liberalen sind und bleiben eine Funktionspartei. Dazu gehört auch ein gerüttelt Maß an Selbstverleugnung und Opportunismus; – so wie jetzt bei der Umsetzung grüner Verbots- und Bevormundungspolitik. Das Gesetzesvorhaben über die Verbote von Öl-und Gasheizungen gibt dafür ein „gutes“ Beispiel. Olaf Scholz und sein Kabinett verabschieden einstimmig Robert Habecks Gesetzentwurf, der den Häuslebauern künftig den Einbau bisher gängiger Heizungen verbieten und sie zum Einbau von Wärmepumpen ab 2024 zwingen will. Zur liberalen Gesichtswahrung geben die FDP-Minister Bedenken zu Protokoll, wohl wissend, dass solche Protokollnotizen ohne Wirkung und nur noch etwas für spätere Forschungsprojekte von Historikern sind. In Juristenkreisen nennt man solche Versuche „form-, frist- und fruchtlos“. Dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner droht aktuell ein weiteres Scheitern. Er muss die Vorlage seiner Haushaltseckdaten erneut verschieben. Wenn die Fronten zwischen ihm und seinen Koalitionspartner(n?) bestehen bleiben, wird er wohl als erster Bundesfinanzminister ohne einen regulären Bundeshaushalt in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen.
Für die Liberalen wird die Ampelphase zu einem politischen Alptraum. Selbst wenn sie die Koalition gemäß einer früheren Aussage von Lindner handelten –„Lieber nicht regieren, als falsch regieren!“ – und das Bündnis verließen, hätte das fatale Folgen. SPD und Grüne verlören ihre Parlamentsmehrheit. Für die SPD bliebe nur die Flucht in eine große Koalition. Dazu müsste sie aber bereit sein ihren Kanzler zu opfern. Denn CDU und CSU wären Stand jetzt schlecht beraten, unter den Bedingungen des Wahlergebnisses von 2021 als Notnagel für Scholzens SPD herzuhalten. Neuwahlen wären angesichts ihrer aktuellen Unfragewerte deutlich attraktiver. Auch wenn die Ampel nicht ausfällt, droht den Liberalen Ungemach mit ihren Wählern. Sie verlöre ihre Funktion als Korrektiv. Die politischen Ziele der Grünen und weiter Teile der SPD führen letztlich zu einer politischen Zwangsbeglückung der Bürgerinnen und Bürger. Das ist einfach nicht mit der liberalen Vorstellung von freien Bürgern kompatibel, die ohne Zwänge ihre Entscheidungen selbst treffen. Die Partei wäre an ihrem Anspruch gescheitert, als Bündnispartner immer das Schlimmste zu verhindern. Die Fünf-Prozent-Hürde lässt grüßen!